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Drapchi - das gefürchtetste Gefängnis Tibets I

 

 

 

Tibetan Centre for Human Rights and Democracy

Narthang Building, Gangchen Kyishong, Dharamsala, H.P. 176 215, India,

Tel: 0091/1892 23363; Fax: 0091/1892 25874

e-mail: dsala@tchrd.org, www.tchrd.org, August 2001

 

Drapchi - das gefürchtetste Gefängnis Tibets

 

Inhalt

Erklärung der Begriffe

Vorwort

Ein Einblick in das Drapchi Gefängnis

Geschichte des Drapchi Gefängnisses

Politische Häftlinge ab 1987

Umgang mit den Häftlingen

Umformung der Häftlinge

Medizinische Fürsorge und Ernährung

Der Protest vom Mai 1998

Isolationshaft

Urteilsverlängerung

Todesopfer

Chronologie der Proteste im Drapchi Gefängnis

Ein Brief der politischen Häftlinge von Drapchi

Männliche politische Häftlinge im Drapchi Gefängnis

Weibliche politische Häftlinge im Drapchi Gefängnis

 

Begriffserklärung und Abkürzungen

 

Barkhor               Innerer Umrundungsweg und zentraler Markt um den Jokhang Tempel   in Lhasa

CCP            Chinese Communist Party

Distrikt                tibetisch: dzong, chinesisch: xian - einem Landkreis oder Distrikt entsprechende Verwaltungseinheit

Haftzentrum        chin. kanshousuo, hier werden Gefangene ohne Anklage und zur Ermittlung vor der Urteilsfällung eingesperrt

ICCPR                International Covenant on Civil and Political Rights - Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte

ICESCR             International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights - Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte

Lhasa Tibets Hauptstadt, in der früheren tibetischen Provinz Utsang gelegen

PAP                                                                                          People’s Armed Police - Bewaffnete Volkspolizei

PRC                                                                                         People’s Republic of China - Volksrepublik China

Präfektur                       Verwaltungseinheit unter der Ebene einer Provinz und über der Ebene eines Distrikts

PSB                    Public Security Bureau (chin. Gong An Ju), örtliche Polizei, die Verdächtige festnimmt und sie in der Vor-Prozess-Phase in Gewahrsam hält

Rukhag                                                                                                                             Einheit in einer Haftanstalt

Spalter                Ein von der PRC verwendeter Begriff für Sympathisanten tibetischer Unabhängigkeit und des Dalai Lama

TAP                                        Tibetan Autonomous Prefecture - Autonome Tibetische Präfektur, zehn derartige Verwaltungsbezirke, die in den ehemaligen tibetischen Provinzen Kham und Amdo liegen, wurden von den Chinesen ausserhalb der TAR eingerichtet

TAR                     Tibet Autonomous Region - Autonome Region Tibet; formell 1965 von China gebildet, stellt dieses Gebiet Zentral- und Westtibets die einzige von China als „Tibet“ anerkannte Region dar

TCHRD                                                                                     Tibetan Centre for Human Rights and Democracy

UDHR                         Universal Declaration of Human Rights - Allgemeine Erklärung der Menschenrechte

Workteam          (chin. gongzuo dui, tib. lae doen rukhag), temporäre Sondertrupps von Parteimitgliedern, die zu Untersuchungszwecken oder zur Durchführung der Umerziehung in eine Institution oder eine Lokalität abgesandt werden.

 

Vorwort

 

1998 markierte das 50-jährige Jubiläum der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte. Groteskerweise verletzten gerade in diesem Jahr chinesische Gefängnisaufseher und PSB Kräfte im Drapchi Gefängnis durch ihr gewaltsames Vorgehen gegen tibetische Gefangene alle nur möglichen Menschenrechtsnormen. An den verhängnisvollen Daten 1. und 4. Mai 1998 schossen sie willkürlich auf die unbewaffneten Gefangenen und prügelten und folterten sie. Daraufhin wurden diese in Einzelhaft gesteckt, und ihre Hafturteile wurden verlängert, nur weil sie nach Freiheit gerufen hatten. Acht politische Gefangene starben als Folge der schweren Misshandlungen im Zuge der Niederschlagung des Protestes.

Das Drapchi Gefängnis ist eines der drei offiziell genannten Strafanstalten in Tibet, die zwei anderen sind das Lhasa Gefängnis (früher als Outrido bekannt) und Powo Tramo in Distrikt Tramo, Präfektur Nyingtri (chin. Pomi in der Präfektur Linzhi). Tatsächlich übertrifft die Zahl der Gefängnisse und Haftzentren in Tibet bei weitem diese Zahl.

Das Drapchi Gefängnis - der berüchtigtste Folterkerker Tibets - ist in sieben Hauptsektionen gegliedert: fünf Einheiten für kriminelle Straftäter und zwei für politische Gefangene. Die erste, zweite, vierte, sechste und siebte sind für männliche kriminelle Straftäter vorgesehen, die dritte für weibliche Häftlinge (sowohl politische als auch kriminelle) und die fünfte für männliche politische Gefangene. Die dritte und fünfte Einheit wurden ausserdem noch in zwei Unterabteilungen gespalten. Die sieben Abteilungen sind gegenwärtig in acht Zelltrakten untergebracht. Zu lebenslänglicher Haft oder Hinrichtung mit zwei Jahren Aufschub verurteilte Straftäter kommen in die erste Einheit.

Das Drapchi Gefängnis ist es, in dem die meisten der Freiheitsaktivisten inhaftiert waren und in dem gar manche ihr Leben einbüssten. Im Gegensatz zu den unlängst von chinesischen Funktionären gemachten Angaben, es gebe 115 politische Gefangene in Tibet, schätzt das TCHRD die Zahl der derzeit in verschiedenen Gefängnissen, Haftzentren und Arbeitslagern inhaftierten politischen Häftlinge (Stand Juni 2001) auf 252. Davon sind 129, einschliesslich 26 weibliche politische Gefangene, in Drapchi eingesperrt.

Insgesamt 27 Todesfälle und für 47 politische Gefangene Urteilsverlängerungen wurden alleine im Drapchi Gefängnis seit 1987 verzeichnet. Die Aufseher greifen zu brutalen Foltermethoden, um Informationen aus den Gefangene zu erpressen oder um ihre politischen Ambitionen und ihre Aktivität für die Zukunft zu dämpfen. Mehrere Häftlinge wurden direkte Opfer der schweren Folterung, während andere allmählich den ihnen durch die Peinigung beigebrachten Verletzungen erlagen. Noch andere starben nach ihrer Entlassung, physisch ruiniert durch die erlittene Folterung und psychisch traumatisiert durch die Erinnerungen an die Gefängnisqualen.

Dieser Bericht will ein Schlaglicht werfen auf die Situation der politischen Gefangenen und die unerhörten Qualen, die sie in den chinesisch verwalteten Haftanstalten in Tibet durchmachen müssen. In Anbetracht des äusserst schweren Schicksals dieser Gefangenen appelliert der Report an die Vereinten Nationen und andere internationale Gremien, Druck auf die chinesische Regierung auzuüben, damit sie die politischen Gefangenen entlasse und die unmenschliche Behandlung, der sie jetzt unterliegen, beende. Diesen Bericht widmen wir all den Opfern, welche tapfere Tibeter angesichts der chinesischen Unterdrückung gebracht haben, sowie der Erinnerung an die verhängnisvollen Proteste im Drapchi Gefängnis vom Mai 1998.

 

Ein Einblick in das Drapchi Gefängnis

 

Geschichte des Drapchi Gefängnisses

Das in den nordöstlichen Aussenbezirken der Stadt Lhasa gelegene Drapchi Gefängnis ist die grösste Haftanstalt in Tibet. Es ist für Gefangene bestimmt, welche dem Justizsystem gemäss verurteilt wurden, was verfahrenstechnisch Untersuchung, Verhaftung, Ermittlung durch die Prokuratur und dann das  Gerichtsurteil bedeutet. Der Name „Drapchi“ ist auf das Drapchi Kloster zurückzuführen, das nur ein paar Schritte von dem Gefängnistor entfernt liegt. Diese Haftanstalt ist berüchtigt als ein Hauptschauplatz von Folter und Misshandlung, wo zahllose Häftlinge durch die Hand der staatlichen Folterknechte ihr Leben einbüssten.

Obwohl chinesische Regierungsvertreter behaupten, nur männliche Häftlinge mit Haftstrafen über 5 Jahren sässen im Drapchi Gefängnis ein, gibt es genügend Beweise, dass es tatsächlich auch viele männliche Insassen mit kürzeren Strafen gibt. Alle Nonnen und gerichtlich verurteilten weiblichen politischen Gefangenen büssen ihre Strafe, ungeachtet deren Länge, ebenfalls in Drapchi ab. Ende 1990 waren chinesischen Angaben zufolge stets 75% der Häftlinge tibetischer Nationalität.

Nach dem tibetischen Volksaufstand von 1959 eigneten sich die Chinesen die damalige tibetische Militärgarnison Khadhang an und transformierten sie in eine Haftanstalt hauptsächlich für Mönche und Lamas, Regierungsbeamte und den Rest der tibetischen Streitkräfte. 1961 glich Drapchi eher einem Heerlager, und einer der ersten Häftlinge, Palden Gyatso, schätzt, dass damals über 6.000 Gefangene eingesperrt waren, die sich „auf jedem Zentimeter Boden Schulter an Schulter drängten“. Die Häftlinge mussten morgens exerzieren und (bei nur wenigen freien Tagen) nach dem Frühstück viele Stunden lang Zwangsarbeit leisten. Unter schrecklichen Bedingungen arbeiteten sie entweder auf dem Bau, in der Schneiderei, in der Ziegelei oder in den Gemüsegärten.

Zu der harten Arbeit kam hinzu, dass die Häftlinge niemals genug zu essen bekamen. Nach 1960 litten sie noch mehr Hunger, weil China von einer schlimmen Hungersnot geplagt wurde; um der Not in China abzuhelfen, wurde aus Tibet Getreide abgezogen, so dass die Tibeter kaum mehr etwas zu essen hatten. Damals starben viele Tibeter Hungers oder an verdorbener Nahrung. Auch in den Gefängnissen gab es kaum mehr Nahrungsmittel: Morgens eine Tasse Tee, abends eine dünne Suppe mit ein paar Kohlblättern darin und zu Mittag 120 g tsampa (Gerstenmehl). Um sich am Leben zu erhalten, gruben die Häftlinge die Fussböden (die meistens aus Sand bestanden) ihrer Zellen auf und stocherten nach Ratten und Würmern, die sie dann verspeisten. Einige kochten auch das Leder ihrer Stiefel zu einer Art Brei. Andere versuchten Gras zu essen, worauf sie schwer erkrankten. Man schätzt, dass von 1960 bis 1962 über 80% der 1959 und 1960 festgenommenen Häftlinge verhungerten.

Um 1962 war die schlimmste Hungersnot vorüber, und die Gefangenen bekamen etwas mehr zu essen, aber angesichts der harten Arbeit, die sie leisten mussten, immer noch zu wenig. Ausserdem wurde mehreren Gefangenen Blut abgenommen, obwohl sie schon sehr schwach waren. Zwangsarbeit, ungenügende Ernährung und diese Blutentnahmen forderten in den 60er, 70er und 80er Jahren zahlreiche Todesopfer.

Die 1966 einsetzende Kulturrevolution hatte zum Ziel, überall in China die alte Kultur, die alten Glaubensformen und Gebräuche gänzlich auszurotten. In Tibet bedeutete dies, dass alles Tibetische als ein Relikt der alten Feudalgesellschaft angesehen wurde, welches dem Fortschritt hinderlich im Weg steht. In Drapchi, ebenso wie an vielen anderen Orten, veranstalteten die Behörden öffentliche Verbrennungen von Gegenständen, die für die alte Gesellschaft standen, und die Gefangene mussten selbst ihre Decken, Bücher, Schuhe und Kleider ins Feuer werfen. Einige Häftlinge, die ihren Enthusiasmus für den neuen Weg beweisen wollten, verbrannten alles, was sie besassen. Darüber hinaus mussten die Häftlinge abgesehen von Samstagen nach der täglichen harten Arbeit noch für zwei oder drei Stunden die politischen Umerziehungssitzungen über sich ergehen lassen. Winters, wenn es keine Arbeit gab, währten diese Indoktrinierungen täglich mindestens 12 Stunden. Wenn sich bei diesen Meetings ein Häftling mit dem Vorgetragenen nicht einverstanden erklärte oder mangelnde Begeisterung für die Sache des Sozialismus zeigte, wurde er entweder in den sogenannten thamzings oder Klassenkampfsitzungen gepeinigt oder abgeführt und von den Aufsehern misshandelt. Diese fesselten den Opfern die Hände hinter dem Rücken mit einem Strick, der gleichzeitig um ihren Hals geschlungen wurde. Er wurde dann so strammgezogen, dass sie keinen Ton von sich geben konnte, während die Peiniger sie schlugen. Diese versetzten ihren Opfern heftige Fusstritte in die untere Rückengegend, so dass viele von ihnen Nierenschäden davontrugen. Bei den thamzings wurden andere Gefangenen gezwungen, auf das Opfer loszugehen und es am ganzen Körper zu schlagen und zu boxen. Diese Marter konnte bis zu einer halben Stunde dauern, und einige Gefangene wurden auf diese Weise viele Tage oder gar Wochen hintereinander gepeinigt. Viele starben auch infolge der Misshandlungen, während andere ernsthafte Verletzungen davontrugen.

Mehrmals wurden Häftlinge während der 60er und 70er Jahre bei Massenkundgebungen öffentlich hingerichtet. Dabei wurden die Verbrechen und Urteilssprüche laut verkündet, und die zum Tode Verurteilten wurden vor den anderen Gefangenen vorbeigefahren. Danach bekamen alle, die mit der Regierung kooperierten, Geschenke. Diese bestanden aus Zahnpasta, Handtüchern oder gar der Mao-Bibel. Einige Häftlinge wurden auch mit einer Reduzierung ihrer Haftzeit belohnt. Alle Häftlinge wurden gewarnt, falls sie sich nicht besserten, würde sie dasselbe Schicksal wie die zum Tode verurteilten ereilen. Die Todeskandidaten wurden dann vor Gräben aufgestellt und erschossen, damit sie gleich vornüber hineinfallen sollten. Wenn sie nach der ersten Kugel noch nicht tot waren, wurde noch einmal aus geringem Abstand auf sie geschossen. Einige Opfer starben sogar nach zwei oder drei Schüssen noch nicht und wurden am Ende lebendig begraben. Die Angehörigen der Opfer erfuhren über die Hinrichtung durch eine Rechnung, auf der die Anzahl und der Preis der abgefeuerten Gewehrkugeln und die Länge des Stricks, mit dem der Häftling gefesselt war, standen.

(die letzten 5 Absätze aus: „Drapchi - A History written in Blood“ von Gu-Chu-Sum)

1962 befürchteten die Chinesen, es könne zu einer Gefangenenrevolte kommen, weshalb sie die Häftlinge von Drapchi auf Haftanstalten in ihrer jeweiligen Herkunftsgegend verteilten. Indien und China standen am Rande eines Krieges, und die zahlenmässige Reduzierung von Drapchi und Umverteilung der Gefangenen waren eine Vorsichtsmassnahme, weil „Hunderttausende“ tibetischer Häftlinge auf einem Fleck als eine Gefahr für die innere Sicherheit angesehen wurden.

Um 1964 wurde Drapchi in ein „modernes“ Gefängnis umgeformt, und Palden Gyatso berichtet, es hätte damals als eine „Modellhaftanstalt“, das Gefängnis No. 1 genannt, gegolten. Es gab sogar elektrisches Licht. Zu dieser Zeit war die Anstalt in fünf verschiedene rukhags oder Einheiten unterteilt. Viele ehemalige hohe Lamas und Regierungsleute, darunter auch Lobsang Tashi, der letzte Premierminister Tibets, und Lhalu, der frühere Oberbefehlshaber der tibetischen Streitkräfte in Osttibet, waren in der fünften rukhag inhaftiert.

Während der 60er Jahre war es eine übliche Praxis, die Gefangenen ständig zu verlegen, um die Bildung von Gruppierungen zu verhindern. Die Insassen wurden von einer Anstalt zur anderen, von einer rukhag zu anderen, und innerhalb einer rukhag von einer Zelle zur anderen verschoben, damit dieselben Häftlinge nicht für längere Zeit zusammen sein würden. Sobald ein Insasse Verdacht erweckte, er könne sich mit einem anderen angefreundet haben, wurden beide sofort voneinander getrennt. Auch jede freundliche Geste unter den Gefangenen erregte Missfallen. Wenn es zu Freundschaften zwischen Häftlingen kam, die unterschiedlichen „Klassen“ (wie diese von den Behörden abhängig von dem vormaligen sozialen Status der Person und ihrer politischen Vergangenheit definiert wurden) angehörten, konnte dies mit „Klassenkampfsitzungen“ bestraft werden.

Die Anzahl an politischen Gefangenen in Drapchi war während der ganzen 60er und 70er Jahre relativ niedrig, weil die meisten Sträflinge in die Lager zur „Reform-durch-Arbeit“ (chin. laogai) geschickt wurden ­- ein System harter körperlicher Strafarbeit mit dem Zweck, einerseits dem Staat einen hohen Gewinn zu bringen und andererseits den politischen Eifer der Häftlinge zu dämpfen. Dort wurden sie auch einer endlosen ideologischen „Umerziehung“ in kommunistischer Doktrin unterzogen. In den 80er Jahren ging China auf die Politik der „Liberalisierung“ und „offenen Tür“ um, und so wurden letztendlich viele der überlebenden politischen Gefangenen freigelassen - die wenigen, die dem Schicksal Hunderttausend anderer, welche des Hungertodes starben, Selbstmord begingen oder hingerichtet wurden, entronnen waren.

Als die Chinesen 1983 die „Hartdurchgreif-Kampagne“ vom Stapel liessen, wurden etliche Tibeter in Lhasa festgenommen und wegen angeblicher krimineller Delikte mit schweren Haftstrafen belegt. Im Zuge dieser Kampagne wurden auch der ehrw. Lobsang Wangchuk und Tanak Jigme Sangpo aus politischen Gründen verhaftet. Die Anzahl der politischen Häftlinge in Lhasa betrug damals ungefähr 7, wie Palden Gyatso erzählt, eine Zahl, die sich nach den Demonstrationen von 1987 und 1988 drastisch erhöhte. 1988 schätzte ein tibetischer Polizist die Zahl der Insassen von Drapchi auf über 700, das Maximum erfolgte dann 1997 mit einer offiziellen chinesischen Angabe von 968. Aus einem Brief, der am 10. März 1997 von tibetischen politischen Gefangenen in Drapchi geschrieben wurde, geht hervor, dass von dieser Gesamtzahl 523 politische Häftlinge waren.

 

Politische Gefangene in der Zeit nach 1987

Die Demonstration von 1987 gab der tibetischen Freiheitsbewegung einen so grossen Anstoss wie noch nie zuvor. Ihr folgten eine Reihe weiterer Demonstrationen und Hunderte von Festnahmen, bis dann am 5. März 1989 das Kriegsrecht verhängt wurde.

Am 29. September 1987 demonstrierten 21 Mönche von Kloster Drepung in Lhasa für tibetische Unabhängigkeit. Die nächsten Demonstrationen erfolgten am 1. Oktober 1987 und am 5. März 1988. Diejenige ein Jahr später, am 5. März 1989, zog ein äusserst strenges Regime militärischer Überwachung für fast ein Jahr nach sich.

Ausserdem kam es auch in mehreren anderen Gegenden Tibets zu Protesten, wo Demonstranten nach Unabhängigkeit für Tibet riefen und daraufhin „konterrevolutionärer“ Delikte wegen verhaftet wurden. Ohne Gerichtsprozess wurden diese Protestierenden auf verschiedenerlei Haftanstalten und Arbeitslager verteilt, wo sie schwer geschlagen und gefoltert wurden. Die meisten der in Lhasa und der näheren Umgebung aus politischen Gründen Verhafteten kamen jedoch in das Drapchi Gefängnis, das heutzutage als eine der grössten Haftanstalten in Tibet angesehen wird.

25 Personen wurden wegen ihrer Teilnahme an den Demonstrationen vom 6. und 12. März 1989 (an unterschiedlichen Tagen) festgenommen, unter ihnen Yulo Dawa Tsering, Thupten Tsering, Sonam Wangdu und Lobsang Tenzin, welche damit zu den ersten der neuen Welle politischer Gefangener in Drapchi wurden. Infolge des Aufflammens der Freiheitsproteste in Tibet, besonders in Lhasa, und der Erklärung des Kriegsrechts durch die chinesische Regierung wurden viele Tibeter gefangen genommen und zu Haftstrafen verschiedener Länge in Drapchi verurteilt.

Am 17. November 1989 wurden Rinzin Choenyi und Chungdak, die ersten zwei weiblichen politischen Häftlinge, in Drapchi festgesetzt und bereits Anfang 1990 kamen weitere 23 hinzu. Die Gefängnisleitung bestimmte nun die rukhag # 3 ausschliesslich für weibliche politische Häftlinge und die rukhag # 5 für die damals annähernd 100 männlichen politischen Häftlinge. Auf diese Weise wollte sie die politischen Insassen von den gewöhnlichen Kriminellen trennen, um deren „Infizierung“ und der möglichen Ausbreitung von politischem Dissens vorzubeugen. Diese Massnahme zeigte aber nicht den gewünschten Erfolg, denn die nicht-politischen Häftlinge halfen weiterhin den politischen, schlossen sich deren Protesten innerhalb des Gefängnisses an und fingen sogar selbst an zu protestieren.

Zwischen 1990 und 1996 (Januar) gab es einen raschen Anstieg bei den politischen Häftlingen in Drapchi: unseres Wissens betrug 1995 die Zahl der weiblichen politischen Insassen 162. Dementsprechend wurden 1995 und 1996 zwei neue rukhags (Abteilungen) jeweils für die weiblichen und männlichen politischen Häftlinge gebaut. Nach Fertigstellung einer der neuen Trakte wurden schliesslich 60 Nonnen von der Haftanstalt Gutsa transferiert; ebenso kamen alle neu eingelieferten Gefangenen von nun an in die neuen Abteilungen. Die Absicht dabei war, dass sie nicht von schon länger einsitzenden Häftlingen, die sich als „nicht reformierbar“ erwiesen hatten, beeinflusst werden sollten.

1996 wurden die weiblichen Insassen der „alten“ und der „neuen“ rukhag #3 (eine informelle Bezeichnung je nach der Zeit, welche die Häftlinge schon im Drapchi Gefängnis einsassen) ausgetauscht, so dass die neuen Gefangenen nun in den älteren Zellentrakt kamen. Obwohl 1998 für die älteren weiblichen politischen Gefangenen offiziell die Bezeichnung rukhag #6 und für die neueren rukhag #7 eingeführt wurde, sprechen die Insassen selbst immer noch von „alte rukhag #3“ und „neue rukhag #3“. Die offiziellen Bezeichnungen gelten nur für Aktivitäten innerhalb der Haftanstalt, etwa die militärischen Drillübungen. Wegen des Rückgangs an weiblichen politischen Gefangenen scheinen alle Insassen der rukhags #6 und #7 nun zu einer einzigen Einheit, die in dem neuen Trakt der rukhag #6, untergebracht ist, zusammengefasst worden zu sein.

Die Haftzellen können nur nach Passieren der Schranken des Hauptgefängnistores und drei weiter innen gelegener Tore erreicht werden. An dem zweiten Gefängnistor, das an beiden Seiten Warntafeln in roten chinesischen Lettern und Markierungen auf dem Boden aufweist, die Unbefugten den Eingang verwehren, steht ein bewaffneter Posten rund um die Uhr. An allen vier Seiten des Komplexes befinden sich Wachttürme mit uniformierten PAP Kräften, die Tag und Nacht in Stellung sind.

Im Juni 2001 gab es, soweit uns bekannt ist, 26 weibliche und 103 männliche politische Häftlinge, die ihre Strafe im Drapchi Gefängnis verbüssen.

 

Umgang mit den Gefangenen

Im Drapchi Gefängnis versuchen die Behörden, die Häftlinge mittels exzessiver Foltermethoden und unmenschlicher Behandlung unter Kontrolle zu halten. Abgesehen von dem PLA Politinstrukteur und dem Gefängnisleiter, die beide für die Gefängnisverwaltung verantwortlich sind, gibt es in jeder Gefängniseinheit mehrere Offizielle, die erstere bei der Gefängnisführung unterstützen. Der Gefängnisleiter bestimmt meistens, was im Gefängnis zu geschehen hat, etwa den Unterricht zum Umdenken und zur Umerziehung und die Art und Weise der Überwachung.

Für die Disziplin der Gefangenen sind die Gefängnisverordnung und die Gefängnisgesetze massgeblich, an die sich jeder Häftling streng halten muss. Zwei von den je 10 Häftlingen einer Zelle werden als „Zellensprecher“ bestimmt. Diejenigen Einheiten, die alle Gefängnisregeln und Verordnungen genau einhalten, werden belohnt. Umgekehrt droht Einheiten, welche die Bestimmungen übertreten, Abzug von Punkten, Urteilsverlängerung und sie kommen auf die schwarze Liste.

1990 wurden in Drapchi 11 Isolationszellen für „undisziplinierte Häftlinge“ eingerichtet. Es handelt sich um kleine finstere Karzer, die so eng sind, dass der Gefangene sich gerade noch hinlegen kann. Sie haben weder Fenster noch elektrisches Licht, und die darin Eingeschlossenen bekommen fast kein Bettzeug und kaum etwas zu essen.

Verschiedene Formen von Folterung werden zur Bestrafung der Häftlinge eingesetzt: Man lässt sie etwa stundenlang völlig bewegungslos in der Sonne stehen, lange Zeit nonstop rennen, oder man entzieht ihnen Nahrung, Wasser und Schlaf. Zur ideologischen Reformierung wird jeder Häftling gezwungen, die kommunistische Ideologie zu studieren, wobei jegliches Opponieren gegen die Parteilinie mit Schlägen und Folter bestraft wird.

Täglich gibt es in Drapchi Meetings zur politischen Erziehung, im Verlauf derer die Häftlinge zum Eingeständnis ihrer „Verbrechen“ und zur Annahme der chinesisch kommunistischen Ideologie genötigt werden. Bei der jährlich stattfindenden Sitzung der TAR Funktionäre legen die Direktoren der Abteilungen für Überwachung, der Obersten Volksprokuratur, des Obersten Volksgerichts, des Büros für Öffentliche Sicherheit und der Justizbehörde der TAR halbjährliche und jährliche Berichte über das Benehmen der Gefangenen, ihre Einhaltung der Gefängnisverordnung und die Erfolge bei dem 100-Punkte-System vor. Häftlinge, die „ernster Übertretungen“ der Gefängnisregeln für schuldig befunden werden, können mit Haftverlängerung bestraft werden, und sie kommen ausserdem auf die schwarze Liste.

 

Umformung der Häftlinge

Jeder Häftling wird zweierlei Art und Weisen von Umgestaltung unterzogen: „Umerziehung durch Arbeit“ und „Reform durch Arbeit“. Es ist quasi zur Aufgabe der Gefängniswachen geworden, jeden neuen Häftling mit vorgehaltener Pistole diesem zweifachen Reformprozess zu unterwerfen.

 „Umerziehung-durch-Arbeit“ hat den Zweck, jede Meinung auszurotten, die den Grundsätzen und der Ideologie der chinesischen kommunistischen Partei zuwider läuft. Ihr letztendliches Ziel ist es, die Tibeter dahin zu bringen, dass sie die chinesische Souveränität über Tibet akzeptieren. Die PRC verabschiedete im März 1996 das „Administrative Strafgesetz“, das insbesondere für „administrative Zwangsmassnahmen“ massgeblich ist, und dem das System von laojiao oder der „Umerziehung-durch-Arbeit“ untersteht. Obwohl es in erster Linie für kriminelle Straftäter beabsichtigt ist, wird das System der „Umerziehung-durch-Arbeit“ massiv gegen politische Dissidenten eingesetzt. Das Leitungsgremium für „Umerziehung-durch-Arbeit“ setzt sich aus lauter PSB Kadern zusammen, welche die Art und das Mass der Strafe für die politischer Aktivitäten wegen Festgenommenen bestimmen. Ohne ein Recht auf einen Verteidiger oder auf eine Anhörung zu haben, kann der Angeklagte bis zu drei Jahren seiner Freiheit beraubt werden, mit Möglichkeit einer einjährigen Verlängerung im Falle von „fehlgeschlagener Reformierung“.

Zu den verschiedenen Massnahmen der politischen Indoktrinierung gehört auch das forcierte Studium kommunistischer Dokumente und offizieller Zeitungen, sowie die Forderung nach individueller Akzeptanz der kommunistischen Ideale. Diejenigen, die sich nicht an die offizielle Order halten, werden schwer geschlagen und gefoltert. Die Obrigkeit schuf ein 100-Punkte-System, um beurteilen zu können, inwieweit die Gefangenen umzudenken lernten; 55 Punkte sind dabei das Minimum, das gerade noch durchgeht.

Bei „Reform-durch-Arbeit“ handelt es sich um eine chinesische Methode, die „Reformierung“ eines Gefangenen zu bewerkstelligen, indem er exzessiver Arbeit unterworfen wird. Am 9. Dezember 1994 verkündete der Nationale Volkskongress der PRC ein Gefängnisgesetz, das offiziell den Begriff laogai („Reform-durch-Arbeit“ durch das Wort „Gefängnis“ ersetzt. Das dem laogai System zugrundlegende Ziel war nicht nur Bestrafung, sondern auch „Umformung und Besserung“. Dazu gehörte, dass die Häftlinge ihre „kriminelle“ Vergangenheit eingestehen und versprechen, sich im Sinne der kommunistischen Doktrin zu „reformieren“.

Das System der 100 Punkte fordert, dass jeder Gefangene, der physisch dazu in der Lage ist, harte Arbeit leistet. Dabei sind 45 Punkte für die Drills im Rahmen der „Reform-durch-Arbeit“ reserviert. Die Ausnutzung der Häftlinge zu exzessiver Zwangsarbeit ist eine gängige Methode der chinesischen Gefängnisse, zu finanziellen Gewinnen zu gelangen.

Gemäss dem System der „Reform-durch-Arbeit“ müssen die Häftlinge in Drapchi Felder bestellen, Gemüse anbauen, auf Baustellen, in Teppichwebereien und in Schneidereien arbeiten, Wolle verarbeiten, Fahrzeuge reparieren und Pflanzungen düngen. Wenn sie die verlangten Quoten nicht erfüllen oder das für eine bestimmte Zeit geforderte Arbeitspensum nicht erledigen können, dann werden von der von allen Gefangenen insgesamt geleisteten Arbeitszeit entsprechende Stunden abgezogen. In solchen Fällen werden die Gefangenen entweder zur Strafe misshandelt oder gezwungen, bis spät in die Nacht die fehlenden Stunden nachzuholen.

Seit Januar 1990 werden die politischen Gefangenen auch zur Obstzucht auf einem Feld von 150 mu (10.050 qm) Grösse in der Nähe der Sera Bestattungsstätte eingesetzt, auf welchem sie über 3.000 Apfel- und Birnbäume abzuernten haben. Seit Anfang Oktober 1990 wurden über 50 Gewächshäuser gebaut, jedes mit einer Fläche von 1,5 mu. Die Gefängnisleitung teilte jedem Gewächshaus 2 Gefangene zu und erwartete Einnahmen in Höhe von 15.000 Yuan aus den grösseren und von 10.000 Yuan aus den kleineren. Um gewinnbringende Erträge sicherzustellen, müssen die Häftlinge oftmals ungeachtet der Witterungsverhältnisse viele Stunden lang in dem von der Sonneneinstrahlung aufgeheizten Inneren der plastik-beschichteten Gewächshäuser arbeiten. Dank der harten Arbeit der Gefangenen konnte die Gefängnisleitung eine beträchtliche Zunahme in ihrem jährlichen Profit verzeichnen.

Ab Januar 1995 wurden statt der Gartenarbeit auf den Gefängnisfeldern anstrengende militärartige Drills für die Gefangenen eingeführt. Im Namen dieser Exerzierübungen werden die Gefangenen auf verschiedenerlei Weise gepeinigt, indem sie unentwegt rennen oder viele Stunden ohne jegliche Bewegung dastehen müssen, was bedrohlich für ihre Gesundheit und gar für ihr Leben ist.

Den weiblichen Gefangenen wird genauso viel Arbeit wie den männlichen abverlangt. Sie müssen ebenso lange wie die Männer in den Gewächshäusern arbeiten. Es kam vor, dass Frauen wegen der grossen Hitze im Sommer bewusstlos in den Gewächshäusern umfielen. Die meisten weiblichen politischen Gefangenen werden bei der Wollverarbeitung eingesetzt, sie müssen in einem Tag vier Stränge Wolle spinnen und manchmal die ganze Nacht durcharbeiten, um ihr Soll zu erfüllen. 

II

 

 

 

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