Neue Tibet Resolution des deutschen Bundestags vom 18.04.2002 

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Bundestagsprotokoll

 

 

Neue Tibet Resolution des deutschen Bundestags vom 18.04.2002 

Menschenrechte und Entwicklung in Tibet

Der Deutsche Bundestag stellt fest:
Der Deutsche Bundestag verfolgt aufmerksam die Politik der Volksrepublik China gegenüber Tibetern in der Autonomen Region Tibet und den tibetisch besiedelten Provinzen. In einem interfraktionellen Antrag hat der Bundestag 1996 seine Sorge über die Lage der Menschenrechte in Tibet formuliert.
Gegenwärtig unternimmt die Volksrepublik China grosse Anstrengungen zur wirtschaftlichen Entwicklung in der Autonomen Region Tibet. Um die Unterschiede zwischen den reicheren Gebieten an der Ostküste und den ärmeren westlichen Regionen auszugleichen, wurden in der vergangenen Planperiode gut 8 Milliarden Yuan gezielt nach Tibet gelenkt. In der laufenden Fünf-Jahres-Periode (2001-2005) sollen diese Investitionen in die Infrastruktur, Landwirtschaft, Technologie, Bildung und den Umweltschutz fast vervierfacht werden. Der Lebensstandard der Bevölkerung hat sich in den letzten Jahren erheblich verbessert. Diese Leistungen verdienen Respekt und Anerkennung.
Die Bemühungen um wirtschaftliche Entwicklung sind jedoch von fortgesetzten Unterdrückungsmassnahmen gegen die tibetische Bevölkerung begleitet: Noch immer flüchten im Schnitt 4000 Tibeter pro Jahr ins Ausland, weil sie sich durch die Politik der Zentral- und Provinzregierung diskriminiert und in ihrer Religionsausübung stark eingeschränkt fühlen. Unter den Flüchtlingen sind verdiente Funktionäre der Kommunistischen Partei und anerkannte religiöse Würdenträger sowie jährlich 500 bis 600 Kinder. Diese Kinder werden aus Sorge um ihre Ausbildung von den Eltern nach Dharamsala geschickt. Die Kampagne gegen das religiöse Oberhaupt der Tibeter, den Dalai Lama, ist im In- und Ausland verstärkt worden und hat das Misstrauen der tibetischen Bevölkerung gegenüber der chinesischen Führung erhöht.
Der Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen zur Folter weist in seinem Bericht vom 25. Januar 2001 auf mehrere Fälle von Misshandlungen an Tibetern in Gefängnissen der Autonomen Region Tibet hin. Opfer der Misshandlungen waren insbesondere Nonnen und Mönche.
Der Deutsche Bundestag ist weiterhin tief besorgt über den nach wie vor ungeklärten Verbleib des 12-jährigen Gedhun Choekyi Nyima. Der vom Dalai Lama als Reinkarnation des Panchen Lama benannte Junge und seine Familie verschwanden im Mai 1995 aus ihrem Haus in Lhari in der Autonomen Region Tibet.
Mit der Ratifizierung des VN-Paktes über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte am 27. März 2001 hat die Volksrepublik China auch für Tibeter ein positives Signal gegeben. Darin hat sich die Volksrepublik China unter anderem völkerrechtlich verpflichtet, Verständnis und Toleranz unter allen rassischen, ethnischen und religiösen Gruppen zu fördern. Sie erkennt zugleich das Recht eines jeden an, am kulturellen Leben teilzunehmen.
Zwischen der Volksrepublik China und der Bundesrepublik Deutschland sowie auf europäischer Ebene mit der Europäischen Union hat sich ein Dialog etabliert, der ausdrücklich Menschenrechtsfragen mit einschliesst. Der Deutsche Bundestag begrüsst den am 30. Juni 2000 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik China vereinbarten Rechtsstaatsdialog. Seminare und Symposien sind bei Politikern, Fachleuten und Wissenschaftlern beider Länder auf grosse Resonanz gestossen. Der Deutsche Bundestag fordert die Beteiligten auf, diesen Dialog auch für eine Erörterung der Tibet-Frage zu nutzen.
Der Deutsche Bundestag unterstützt ebenfalls nachdrücklich den Menschenrechtsdialog zwischen der Europäischen Union und der Volksrepublik China. Mit zunehmender Offenheit werden dabei Menschenrechtsfragen diskutiert. In Angelegenheiten des tibetischen Volkes konnten jedoch keine Fortschritte erzielt werden.
Da es sich bei der Tibet-Problematik um ein gemeinsames europäisches Anliegen handelt, appelliert der Deutsche Bundestag an die Parlamente der Mitgliedsländer der Europäischen Union sowie an das Europäische Parlament und fordert die Europäische Union und die Regierungen ihrer Mitgliedsländer auf, sich bei bilateralen Kontakten mit China für eine baldige Aufnahme eines Dialogs zwischen dem Dalai Lama und der chinesischen Führung einzusetzen. Für eine dauerhafte politische Lösung hält der Deutsche Bundestag den mehrfach vom Dalai Lama angeregten direkten Dialog über die Lage Tibets für unverzichtbar. Es wäre für China und die in China beheimateten Menschen ein grosser Gewinn, wenn der Dialog über die Lage in Tibet alsbald beginnen und zu einer dauerhaften politischen Lösung führen würde.
Der Deutsche Bundestag wünscht einen konstruktiven Dialog mit den Mitgliedern des Volkskongresses der Volksrepublik China und bittet sie,

1. in ihren Bemühungen um die wirtschaftliche und soziale Entwicklung der Autonomen Region Tibet fortzufahren und zugleich dafür Sorge zu tragen, dass die natürlichen Lebensgrundlagen in der Autonomen Region Tibet und in den von Tibetern besiedelten Gebieten erhalten bleiben und der Abbau von Bodenschätzen ökologisch verträglich gestaltet wird;

2. im Volkskongress eine Debatte über die gegenwärtige Lage und die politische Zukunft der Autonomen Region Tibet und der von Tibetern besiedelten Gebiete zu führen;

3. sich dafür einzusetzen, dass ein direkter Dialog mit dem Dalai Lama aufgenommen wird mit dem Ziel, ein Tibet-Statut auszuhandeln, das auf dem Selbstbestimmungsrecht der Tibeter basiert und ihnen weit gehende Autonomierechte im Rahmen der Volksrepublik China garantiert;

4. sich dafür einzusetzen, dass die Person und das Amt des Dalai Lama respektiert und nicht weiter beschädigt werden;

5. sich dafür einzusetzen, dass Tibeter gemäss des 17-Punkte-Abkommens vom 23. Mai 1951 ihre eigene ethnische und kulturelle Identität bewahren und ihre Religion ungehindert ausüben können;

6. sich dafür einzusetzen, dass der Verbleib des 12-jährigen Gedhun Choekyi Nyima und seiner Familie aufgeklärt wird;

7. sich für eine Amnestie aller tibetischen politischen Gefangenen einzusetzen;

8. sich dafür einzusetzen, dass der VN-Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte systematisch umgesetzt wird;

9. sich dafür einzusetzen, dass im Menschenrechtsdialog mit der Europäischen Union auch die Lage in Tibet offen diskutiert werden kann.

Quelle: Deutscher Bundestag/

 

 

 


Bundestagsprotokoll

Nun rufe ich Tagesordnungspunkt 18 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Volker Neumann (Bramsche), Heide Mattischeck, Rudolf Bindig, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD, der Abgeordneten Dr. Christian Schwarz-Schilling, Hermann Gröhe, Hartmut Koschyk, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/ CSU, der Abgeordneten Christa Nickels, Kerstin Müller (Köln), Rezzo Schlauch und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie 
der Abgeordneten Dr. Irmgard Schwaetzer, 
Dr. Wolfgang Gerhardt und der Fraktion der FDP
Menschenrechte und Entwicklung in Tibet
- Drucksache 14/8782 -
Ich eröffne die Aussprache und stelle fest, dass alle Reden zu Protokoll gegeben worden sind.1) Ich schliesse die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag 
der Fraktionen der SPD, der CDU/CSU, des Bündnisses 90/Die Grünen und der FDP auf Drucksa che 14/8782 mit dem Titel "Menschenrechte und Entwicklung in Tibet". Wer stimmt für diesen Antrag? - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei Enthaltung der PDS ist dieser Antrag angenommen.



Anlage 12
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Antrags: Menschenrechte und Entwicklung in Tibet (Tagesordnungspunkt 18)
Volker Neumann (Bramsche)(SPD): Wenn wir jetzt nach 1996 erneut einen interfraktionellen Antrag zu Tibet in den Bundestag einbringen, dann wollen wir gemeinsam dreierlei deutlich machen. Erstens: Die Lage der Tibeter in der Volksrepublik China hat sich seit unserem letzten gemeinsamen Antrag von 1996 nicht verbessert, sondern eher verschlechtert. Zweitens: Die Mitglieder des Deutschen Bundestages haben die Not der Tibeter nicht vergessen. Und drittens: Die derzeitige Tibet-Politik der chinesischen Regierung wird in einer Sackgasse enden, wenn die chinesische Führung nicht endlich bereit ist, einen Dialog mit dem Dalai Lama und seinen Vertretern aufzunehmen.
Selbstverständlich begrüssen wir die Freilassung von drei politischen Häftlingen seit Beginn dieses Jahres, da runter der Musikwissenschaftler Ngawang Choephel. Er lebte ursprünglich im Exil und war 1995 zu Forschungszwecken nach Tibet gereist. Sonst hatte er sich nichts zuschulden kommen lassen. Dennoch warfen ihm die chinesischen Behörden "konterrevolutionäre Aktivitäten" vor und verurteilten ihn zu 18 Jahren Haft. Er kam dank der Bemühungen der Regierungen und Parlamente einiger Staaten und Nichtregierungsorganisationen kürzlich frei. Das Gleiche gilt für den 76-jährigen Jigme Sangpo, der nach über 40 Jahren Haft Ende März von den chine sischen Behörden aus "medizinischen Gründen" aus der Haft entlassen wurde.
Aber damit geben wir uns nicht zufrieden. Wir sind nach wie vor besorgt angesichts der hohen Zahl tibetischer politischer Häftlinge in der Volksrepublik China, die von Menschenrechtsorganisationen auf etwa 250 beziffert wird. Drei Viertel dieser Gefangenen sollen Mönche und Nonnen sein. Der Sonderberichterstatter der VN weist ausserdem auf mehrere Fälle von Misshandlungen an Tibetern in Gefängnissen der Autonomen Region Tibet hin.
Tibeter können nach wie vor ihre Religion nicht frei ausüben. Ich erinnere hier an die Vertreibung von Tausenden tibetischen und chinesischen Nonnen und Mönchen aus einem buddhistischen Kloster - Serthar-Institut - in der Provinz Sichuan durch bewaffnete Sicherheitskräfte im vergangenen Jahr. Den Nonnen und Mönchen wurde nach Berichten des "Tibet Information Network" mit Haft gedroht, sollten sie in das Kloster zurückkehren. Ihre Unterkünfte wurden zerstört.
Einer der höchsten Würdenträger der tibetischen Buddhisten, der vom Dalai Lama als Reinkarnation 
des Panchen Lama benannte 12-jährige Junge Gedhun Choekyi Nyima bleibt weiter verschollen. Bereits in unserem gemeinsamen Antrag 1996 hatten wir nach seinem Verbleib gefragt. Seitdem ist nichts passiert. Der Junge und seine Familie sollen von den chinesischen Behörden festgehalten werden, seitdem er zusammen mit seiner Familie im Mai 1995 aus ihrem Haus in Lhari in der Autonomen Region Tibet verschwunden ist.
Angesichts dieser traurigen Bilanz fühlen wir uns he rausgefordert, wenn das chinesische Aussenministerium bei der in Genf tagenden Menschenrechtskommission in Genf erklärt, Minderheiten genössen in der Volksrepublik China "angemessene Menschenrechte und grundlegende Freiheiten". Denn genau diese grundlegenden Freiheiten bleiben den Tibetern nach wie vor verwehrt. Und "angemessene Menschenrechte" darf es in Tibet schon gar nicht geben.
Menschenrechte müssen für jeden in demselben Masse gelten und sind deshalb auch nicht zu relativieren.
Angesichts dieser fortgesetzten Unterdrückung ist es nicht verwunderlich, dass durchschnittlich jährlich etwa 
4 000 Tibeter ins Ausland fliehen. Dies ist Ausdruck der Hoffnungslosigkeit, die viele Tibeter empfinden. Warum sonst schicken Eltern jedes Jahr bis zu 600 Kinder auf die lebensgefährliche Flucht über die eisigen Höhen des 
Himalaja nach Nepal und schliesslich Indien? Selbst für Tibeter, die verdiente Funktionäre der kommunistischen Partei sind, und für von den chinesischen Behörden an erkannte religiöse Würdenträger ist oft die Flucht der einzige Ausweg aus dieser Hoffnungslosigkeit.
All dies macht deutlich: Die nunmehr ein halbes Jahrhundert andauernde Unterdrückung der Tibeter in der Volksrepublik China, der Versuch, eine Jahrtausende 
alte, religiös geprägte Kultur gewaltsam zurückzudrängen 
- und dazu gehört auch die Kampagne gegen das religiöse Oberhaupt der Tibeter, den Dalai Lama -, all das hat die Tibeter gegenüber der chinesischen Führung misstrauisch gemacht. Das offizielle China sollte endlich seine Verbal attacken gegenüber dem Dalai Lama einstellen und den Dalai Lama und seinen aufrichtigen Wunsch nach einem Dialog anerkennen. Nur so wird die chinesische Führung das Vertrauen der Tibeter gewinnen und tatsächlich die Früchte seiner Bemühungen um wirtschaftliche Entwicklung in Tibet ernten können.
Um die Unterschiede zwischen den reicheren Gebieten an der Ostküste und den ärmeren westlichen Regionen auszugleichen, wurden in der vergangenen Planperiode gut 8 Milliarden Yuan gezielt nach Tibet gelenkt. Diese Leistungen verdienen Respekt und Anerkennung. Wir sehen aber mit Besorgnis, dass im Zuge dieser Anstrengungen immer mehr ethnische Chinesen gezielt in der Autonomen Region angesiedelt werden. Auch dies bedroht die religiöse und kulturelle Identität der Tibeter und wird das Misstrauen gegenüber der chinesischen Führung weiter steigern. Bereits heute sollen über die Hälfte der Einwohner Lhasas ethnische Chinesen sein. Die chinesische Führung sollte sicherstellen, dass ihre Bemühungen auch tatsächlich den Tibetern zugute kommen. Ansonsten wird man auch Vorhaben wie den Bau einer Eisenbahnverbindung nach Lhasa mit Misstrauen betrachten müssen.
Wir stehen zu dem Ein-China-Prinzip in der deutschen Aussenpolitik und wir erkennen die gewaltigen Anstrengungen Chinas für die wirtschaftliche Entwicklung in der Autonomen Region Tibet an. Auch das haben wir in unserem Antrag deutlich gemacht und auch das ist unsere Botschaft an den Nationalen Volkskongress der Volks republik China.
Wir sind - und auch das kann nur das Interesse des chinesischen Volkskongresses sein - an Stabilität in diesem grossen, mächtigen Land interessiert, das sich in vielen Bereichen - auch bei der Bekämpfung des internationalen Terrorismus - als zuverlässiger Partner erwiesen hat und inzwischen Mitglied der WTO geworden ist. Aber die 
verlässlichste Grundlage für Stabilität und Frieden ist 
die Förderung von Menschenrechten, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, auch und erst recht nach den Terroranschlägen vom 11. September, wie unser Aussenminister in seiner Rede vor der Menschenrechtskommission betont hat.
Wir gehen mit dem Antrag einen neuen Weg und appellieren direkt an die Mitglieder des chinesischen Volkskongresses, ihrer Verantwortung nachzukommen und eine Debatte über die gegenwärtige Lage und politische Zukunft in der Autonomen Region Tibet (TAR) und den von Tibetern besiedelten Regionen zu führen. Die Mitglieder des chinesischen Volkskongresses sollten sich dafür einsetzen, dass ein direkter Dialog mit dem Dalai Lama aufgenommen wird mit dem Ziel, für das tibetische Volk weit gehende Autonomierechte auszuhandeln. Wir sprechen von Abgeordneten zu Abgeordneten, wenn wir uns an den chinesischen Volkskongress wenden, aber wir rufen auch die Bundesregierung sowie die EU und ihre Mitgliedsländer auf, sich bei allen Kontakten mit der Volksrepublik China für eine baldige Aufnahme des Dialogs zwischen dem Dalai Lama und der chinesischen Führung einzusetzen.
Auch der von der Bundesregierung initiierte Rechtsstaatsdialog muss, wenn er Teil der Menschenrechtspo litik der Bundesregierung ist, für die Diskussion der Lage in Tibet genutzt werden.
Nur auf diesem Wege kann eine dauerhafte politische Lösung für Tibet erreicht werden und politische Appelle wie diese in Zukunft überflüssig machen.
Dr. Christian Schwarz-Schilling (CDU/CSU): Menschenrechte sind unteilbar. Menschenrechte sind nicht das Gut einer Kultur auf dieser Welt - sie sind ein gemein sames Gut der verschiedenartigsten Kulturen und Zivili sationen. Zu den Menschenrechten bekennen sich eine 
Vielzahl von Völkern und Nationen aus fast allen Kulturkreisen dieser Welt. 
Und jene Nationen, welche Mitglied der Vereinten Nationen sind, haben mit der Charta der Vereinten Nationen auch besondere Verpflichtungen übernommen zur Einhaltung dieser Menschenrechte. Zu diesen Nationen gehört auch die Volksrepublik China als das völkerreichste Land der Erde und als ein bedeutendes Mitglied der Völkergemeinschaft, selber auch wichtiges Mitglied des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen. Seit vielen Jahren haben wir hier ein besonders schwieriges Problem: Seit dem Einmarsch der chinesischen Armee nach Tibet im Jahre 1950 gibt es gewaltsame Unterdrückung in Tibet und seines Strebens nach politischer, ethnischer, kultureller und religiöser Selbstbestimmung. Der Deutsche Bundestag hat auf diese sich mehr und mehr verschlechternde Situation im Laufe der letzten Jahre und Jahrzehnte immer wieder hingewiesen. So zum Beispiel in seinem Beschluss vom 15. Oktober 1987, durch die Veröffentlichungen der Ergebnisse des Hearings im Auswärtigen Ausschuss vom 19. Juli 1995, durch seinen wegweisenden Antrag "Menschenrechtssituation in Tibet verbessern" vom 23. April 1996. Anschliessend ist der Menschenrechtsausschuss zweimal nach China gefahren und führte Dialoge. Dies war bereits eine Verbesserung des gegenseitigen Verstehens, da der Dialog beim zweiten Mal bereits grosse Fortschritte gemacht hat; aber zu einer Verbesserung der Lebenssituation der Menschen in Tibet hat es kaum geführt. Man muss im Gegenteil eine Tendenz feststellen, die auf verschiedensten Gebieten zu gravierenden Verschlechterungen geführt hat: 
Die Zahl der politisch Inhaftierten in Tibet ist offensichtlich nicht kleiner, sondern grösser geworden.
China hat die Konvention gegen Folter ratifiziert; dennoch starben seitdem etwa 70 Tibeter an Folgen von Folterbehandlungen.
Seit 1996 wurden über 12 000 Mönche und Nonnen aus ihren Klöstern vertrieben.
Der 11. Panchen Lama ist immer noch im Gewahrsam der chinesischen Regierung.
Es erfolgt eine systematische gezielte Ansiedlung von Chinesen in Tibet, sodass auf diese Weise die Tibeter mehr und mehr zur Minderheit im eigenen Land werden. Bereits heute stellen Chinesen mehr als 50 Prozent der Bevölkerung in Lhasa.
Wir haben uns in dem Antrag bemüht, nicht einseitig zu urteilen, sondern auch positive Entwicklungen aufzuzeigen: dass die Volksrepublik China grosse Anstrengungen zur wirtschaftlichen Entwicklung in Tibet unternimmt, dass die Unterschiede zwischen reicheren Gebieten an der Ostküste und ärmeren westlichen Regionen auszugleichen versucht werden, dass eine grosse Zahl von Investitionen in Tibet unternommen werden, um Infrastruktur, Landwirtschaft, Technologie, Bildung und Umweltschutz zu vervielfachen; wir haben auch vermerkt, dass sich teilweise der Lebensstandard der Bevölkerung verbessert hat. Diese Leistungen verdienen durchaus Respekt und Anerkennung, aber sie können nicht das kompensieren, was durch fortgesetzte Unterdrückungsmassnahmen an seelischen, kulturellen und materiellen Schäden in Tibet angerichtet wird. Dieses wird auch vom Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen, wie es in dem Antrag festgestellt ist, bestätigt.
Es mag sein, dass die Chinesen zuweilen guten Willens sind und nicht begreifen, dass diese materiellen Wohltaten nicht mit grösster Dankbarkeit akzeptiert werden, dass die Lebensqualität und das Wertegerüst eines Tibeters anders aussieht als sich das die Chinesen vorstellen. Es gehört eine gewisse Reife dazu, wenn eine materiell entwickelte Zivilisation wie die chinesische gegenüber "zurückgebliebenen" Kulturen der Versuchung von Arroganz und Überlegenheit widersteht. Atheisten und Materialisten, die heute aus ihrem eigenen Selbstverständnis heraus das Land regieren, haben eben zuweilen keine Ahnung davon, was für Dinge es zwischen Himmel und Erde gibt, auch nicht zwischen den hohen tibetischen Gebirgen und den religiösen Riten frommer Tibeter. Tatsache ist, dass der religiöse Glaube, die eigene Meinung und das Menschenrecht jedes einzelnen Menschen nach eigenem Willen und Rechtsanspruch gestaltet werden können und von keinem Staat und seinen politischen Führern in Zweifel gezogen werden dürfen. Wir müssen feststellen, dass vor unseren Augen eine der ältesten und einzigartigsten Kulturen dieser Welt unter dieser materialistischen Dogmatik leidet und mehr und mehr versinkt. Wenn dem nicht Einhalt geboten wird, wird diese Kultur in absehbarer Zeit der Vergangenheit angehören. Manche mögen dies als Fortschritt feiern. Diejenigen, die Achtung und Ehrfurcht vor der Vielgestaltigkeit des Lebens auf dieser Welt haben, werden Trauer und Leid empfinden und sie werden den unterworfenen Menschen beistehen.
Solange die Tibeter ihren eigenen Willen behalten und ihre eigene Kultur formen, hat keiner, auch nicht die chinesische Regierung, das Recht, diese kulturellen und religiösen Traditionen zu schmälern oder gar zu beenden. Das ist auch gegen die eigene Verfassung und gegen den Autonomiestatus von Tibet gerichtet, der von den chinesischen Führern endlich ernst genommen werden muss. Da wir nach unserer Erfahrung nicht davon ausgehen können, dass unsere Regierungen den Mut haben, dieses offen und unzweideutig der chinesischen Regierung zu vermitteln, wenden wir uns diesmal an unsere Kolleginnen und Kollegen im chinesischen Volkskongress: Haltet ein und beendet diesen Zerstörungsprozess und bewahrt die Besonderheit des Lebens der Tibeter als einen Ausdruck des Reichtums unserer Schöpfung, den zu bewahren wir alle auf dieser Welt aufgerufen sind. Das gilt für ökologische Reichtümer in gleicher Weise wie für geistige und religiöse Reichtümer. Beachten wir das chinesische Sprichwort: "Ein einfacher Zweig ist dem Vogel lieber als ein goldener Käfig". Der Dalai Lama hat es sehr treffend mit seinen eigenen Worten gesagt: "Das Geschäftemachen und der Reichtum kann den Menschen nicht die volle Zufriedenheit geben. Und jene, die in einem gewissen Lebensabschnitt ihre ganze Energie ins Geldmachen stecken, werden eines Tages merken, dass dies nicht die Antwort auf ihr Leben ist." Wenn wir die Äusserungen 
chinesischer Funktionäre hören, welche die materiellen Errungenschaften preisen und die religiösen Traditionen der Tibeter als eine rückständige Form einer Sklavenherrschaft beschreiben und sich selber als Befreier dieser Sklavenherrschaft sehen, so kann man nur feststellen, dass hier zwei Welten aufeinander prallen, die nicht dialogfähig sind. Und so sehen wir ja auch prompt, dass von chinesischer Seite der Dialog mit dem Dalai Lama stets abgelehnt wird, obwohl der Dalai Lama mehr als einmal sowohl in privaten Gesprächen als auch öffentlich bekundet hat, dass er die chinesische Verfassung bei der Beachtung der Autonomie Tibets keineswegs überschreiten will. Tibet soll weiterhin Bestandteil der Volksrepublik China bleiben. Doch die chinesische Seite glaubt ihm nicht. Hier sind offensichtlich nur Machtkategorien in der Politik bekannt und deshalb kann sie nicht glauben, dass es Menschen gibt, deren Wertekategorien jenseits dieser Machtkategorien stehen.
Auf der anderen Seite darf man allerdings vom Dalai Lama auch nicht verlangen, dass er sich und sein Volk in seiner kulturellen und religiösen Existenz aufgibt.
Die Idee, uns an die Vertreter des Volkskongresses zu wenden, beruht auf der Erfahrung, dass wir mit Abgeordneten des Volkskongresses sehr viel bessere Gespräche führen konnten als mit den meisten Vertretern der Exekutive. Gerade bei den jüngeren Abgeordneten entsteht zunehmend die Weltsicht gemeinsamer Rechtsordnungen und damit auch gemeinsamer Verpflichtungen zur Erhaltung von Demokratie, Freiheit und Frieden. Der chinesische Staatspräsident, Jiang Zemin, hat anlässlich seiner Reise nach Deutschland in einem "Spiegel"-Interview erklärt: "Den Konfuzianismus gibt es seit 78 Generationen. Für den Aufbau des Sozialismus benötigen wir mindes tens ein paar Dutzend Generationen, wir stehen immer noch am Anfang." Bei allem Respekt vor der Dauer chinesischer Dynastien: China ist heute Teil einer globalisierten Welt, welche durch Informations- und Kommunikationstechnologien bestimmt ist. Die Rasanz der Zeitenwende ist gewachsen und die dynamischen Entwicklungen dauern nicht mehr so lange wie in früheren Jahrhunderten. Im 20. Jahrhundert war es schon lange genug, wie viele Jahre oder Jahrzehnte Diktaturen einen falschen Weg gehen konnten und damit für Millionen und Millionen von Menschen unendliches Leid verbreitet haben. Auch China wird in den Genuss schnellerer Entwicklungen kommen und die Notwendigkeit von Korrekturen immer deutlicher sehen, wie wir alle entsprechende Strukturänderungen vornehmen müssen. So wird auch die Frage der Menschenrechte und auch der Autonomie Tibets nicht eine Frage der Jahrhunderte, sondern eine Frage der nächsten Jahre der Volksrepublik China. Gerade solche Nationen und Kulturen, die krampfhaft an überholten Vorstellungen festgehalten haben, sind nach unseren 
Erfahrungen am Ende des 20. Jahrhunderts sehr viel schneller zerbrochen als sie es selbst für möglich gehalten haben. Beschwörungen, dass man am Anfang stehe und Entschuldigungen für Fehlentwicklungen mit einem solchen Argument zählen im geschichtlichen Ablauf der vergangenen Jahrzehnte nicht mehr. Je mehr man sich als unfähig erweist, strukturellen Wandel nachzuvollziehen und entsprechenden Mut zur Reform zu haben, desto schneller gehen Staaten ihrem Ende entgegen. Im Übrigen 
haben wir dieses in Europa gerade auch in den letzten Jahrzehnten mit unglaublichen Erschütterungen und Verlusten bezahlen müssen. Dieser Entwicklung kann keine Nation entkommen. Und so rufen wir unsere Kollegen in Peking auf: Ergreift die Initiative, habt Mut, beachtet die Prinzipien der Charta der Vereinten Nationen, macht durch entsprechende Änderungen eurer Gesetze Platz für ein modernes China mit demokratischen und freiheitlichen Errungenschaften im Respekt vor Kultur und Religion der Völker in diesem Land und der Menschen über all in China.
Aber auch wir hier dürfen die eigene Regierung nicht aus der Verpflichtung entlassen, sich mit allen Kräften für die weitere Durchsetzung der Menschenrechte einzusetzen. Was hier von der heutigen Koalition geboten wird, ist wirklich mehr als bedauerlich. So viel Feigheit und Angst vor einer grossen Nation wie China, die selbstverständlich ein gewaltiger Wirtschaftsfaktor ist, hat man nach den Ankündigungen des Stellenwertes der Menschenrechte bei der rot-grünen Koalition wirklich nicht vermuten können. Hier kann ich nur feststellen: Die chinesische Seite wird eine solche Leisetreterei mit Sicherheit nicht als Glanzleistung einschätzen. Das Gleiche gilt für die Schwäche der Europäischen Union, welche auch dieses Jahr wiederum in Genf jedem ernsthaften Dialog mit China und entsprechenden Entschliessungen ausgewichen ist. Die Frage wird also mit noch grösserer Vehemenz später auf uns zukommen. Und wer meint, die Chinesen hätten einen besonderen Respekt vor Drückebergern, der wird noch eines Besseren belehrt werden. Es war auch keine Glanzleistung, diese Debatte in diesem Parlament möglichst nach dem Besuch des Staatspräsidenten zu veranstalten. Die chinesische Regierung war natürlich längst über diese Resolution informiert und kann durch diese Absichten nur selber befriedigt feststellen, wie sehr sich die Bundesrepublik Deutschland vor ihrer eigenen Courage fürchtet. Ich möchte hier auf dieses Trauerspiel, das ja auch offensichtlich durch die Plazierung unserer Debatten in mitternächtliche Stunden eine besondere Facette erhält, nicht näher eingehen. Ich kann nur hoffen, dass unsere Kolleginnen und Kollegen in Peking mutiger sind und eine solche Debatte bei Tageslicht und offenen Auges nicht scheuen.
Ich möchte hier zum Abschluss den grossen Völkerrechtslehrer Hugo Grotius zitieren, der einmal geschrieben hat: "Omnibus viribus huic saeculo in peius ruenti sese opponere - Wir müssen uns ständig mit allen Kräften dem Drange dieser Welt entgegenstellen, ins Schlimmere abzugleiten". Nur wenn es uns gelingt die heutige und künftige Generationen mehr denn je in diesem Geiste walten zu lassen, dann werden wir als Vertreter unserer Generation unseren Beitrag für die Menschenrechte und für Frieden und Freiheit auf dieser Welt geleistet haben. 
Christa Nickels (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): 
Der vorliegende fraktionsübergreifende Antrag zur Lage der Menschenrechte und zur Entwicklung in Tibet setzt die schon vor mehreren Legislaturperioden begründete gute interfraktionelle Arbeit des Deutschen Bundestages zu Tibet erfolgreich fort.
1991, zu Beginn der 12. Legislaturperiode, hatte sich ein kleiner Kreis von Abgeordneten beider grossen Volksparteien sowie der Liberalen und der Bündnisgrünen in einer kontinuierlich arbeitenden Fachgruppe zu der sich schon damals dramatisch verschärfenden Menschenrechtssituation in Tibet zusammengefunden, um die politische Debatte zu Tibet auch auf der Ebene des deutschen Parlamentes voranzubringen.
Damals waren die Widerstände und der Druck der chinesischen Seite noch zu gross. Aber 1995 gelang es schliesslich, eine im In- und Ausland viel beachtete ganztägige Anhörung zu Tibet unter Beteiligung des religiösen Oberhauptes der Tibeter, des Dalai Lama, im Bundestag in Bonn zu veranstalten. Als Resultat der Ergebnisse dieser Anhörung mündete das Engagement des Bundestages schliesslich in einen interfraktionellen Antrag zu Tibet, der gegen heftigen Widerstand der damaligen Bundesregierung im Sommer 1996 mit überwältigender Zustimmung verabschiedet werden konnte.
Leider hat sich die Menschenrechtslage seitdem in Tibet nicht durchgreifend verbessert. Nach wie vor gibt es massive Unterdrückungsmassnahmen gegen die Bevölkerung. Tausende Personen fliehen jährlich ins Ausland, werden Menschen inhaftiert und äusserst harten Haftbedingungen unterworfen. Nach Berichten von Amnesty International gibt es in der autonomen Republik Tibet kaum einen politischen Gefangenen, der nicht gefoltert oder misshandelt wurde.
Auf einer Delegationsreise unseres Ausschusses nach China vom 18. bis 27. April letzten Jahres konnte sich die Delegation beim Besuch der westlich gelegenen Provinzen Gansu und Qinghai auch einen Eindruck von der Lage der Minderheiten in beiden Gebieten machen - besonders der Tibeter und der muslimischen Hui - sowie über die Möglichkeiten gerade auch der tibetischen Buddhisten, ihre Religion auszuüben. Die Delegation führte Gespräche mit den stellvertretenden Provinzgouverneuren, besuchte die buddhistischen Klöster Labrang und Kumbum und traf Vertreter der nationalen Minderheiten.
Seit 1996 versuchen die Behörden im Rahmen einer "patriotischen Erziehungskampagne" die Kontrolle über die Klöster zu verstärken, was zu einer Vielzahl von weiteren Festnahmen geführt hat. Die "abschreckende Wirkung" dieser Massnahmen ist ersichtlich: Offensichtlich verfügen sowohl das Kloster Labrang (Gansu) als auch das Kloster Kumbum (Qinghai) nur noch über einen Bruchteil der Mönche, die sie früher ausbildeten. Im 
Kloster Kumbum wurde der Delegation ein Gespräch mit den Äbten und Mönchen verwehrt.
Auf unsere Fragen nach dem Verbleib des seit Mai 1995 als verschwunden geltenden von der ersten Findungskommission als Reinkarnation des Panchen Lama benannten Gendun Choekyi Nyima wurde uns geantwortet, dem Jungen gehe es gut. Sein Aufenthaltsort wurde uns nicht genannt. 
Immerhin ist es mittlerweile möglich, offen mit allen Stellen diese Fragen strittig zu erörtern. Insofern sind der Menschenrechtsdialog der EU mit China und der Rechtsstaatsdialog zwischen China und Deutschland, der auf eine Idee von Antje Vollmer zurückgeht, sehr wichtig und fruchtbar. Aber diese neue Offenheit läuft ins Leere, wenn als Konsequenz sogar allzu oft Antworten ausbleiben. So gab es auf unseren Vorschlag, Peking solle wenigstens Menschenrechtsorganisationen oder ausländischen Diplomaten Zugang zu dem heute 12-jährigen Jungen eröffnen, keine Antwort.
Auf unsere Frage, warum der Folterberichterstatter der UN - trotz einer seit Anfang 1999 vorliegenden Einladung - noch keinen Besuchstermin erhalten habe und dem Internationalen Roten Kreuz der Zugang zu chinesischen Gefängnissen nicht gestattet werde, bekamen wir Ausreden zu hören.
Von schrecklichen Zuständen hat kürzlich auch der chinesische Dissident Harry Wu in einer öffentlichen Sitzung unseres Ausschusses berichtet. Auch zwei sehr offene Gespräche unseres Ausschusses mit dem Minister im Rechtsamt des Staatsrates, Jingyu Yang, anlässlich seiner Deutschlandbesuche im Juni und Oktober letzten Jahres liessen keine Veränderungen in diesen Fragen erkennen. Deshalb ist der heute vorgelegte Antrag so wichtig und notwendig.
Der Antrag wendet sich an die nationalen Parlamente in Europa und an das Europäische Parlament, um Dialoge auf allen nur möglichen Ebenen mit der chinesischen Seite anzuregen. Allerdings, wenn die neue Gesprächsbereitschaft und Offenheit der chinesischen Regierung und 
Administration nicht endlich auch in konkrete Umsetzungsschritte mündet, hätten die Menschenrechtsorganisationen mit ihrer Sorge Recht behalten, die Rechtsstaatsdialoge könnten nur Makulatur bleiben.
Mit dem Antrag wenden wir uns, was den Forderungskatalog angeht, darüber hinaus direkt an das Partnerparlament in China, den nationalen Volkskongress. Das gibt unserer Hoffnung Ausdruck, dass demokratische parlamentarische Entscheidungsstrukturen im China der Zukunft eine Chance haben werden, auch und gerade wenn es um die elementaren Belange der vielen Minderheitskulturen des Riesenreiches geht.
Ich bin sehr froh darüber, dass dieser Antrag, der die reale Situation in Tibet in aller kritischen Offenheit beschreibt, der aber gleichzeitig bemüht ist, die Tür gegenüber den chinesischen Partnern nicht zuzuschlagen, nach anfänglichen Schwierigkeiten nun doch noch in der zu Ende gehenden Legislaturperiode verabschiedet werden kann. Die Regierenden in Peking müssen begreifen: Gerade das moderne China, das sich in einer ungeheuren Umbruchphase befindet, wird nur dann eine dauerhafte gute wirtschaftliche, soziale und kulturelle Entwicklung haben, wenn es die Menschenrechte beachtet.
Carsten Hübner (PDS): Das Anliegen des vorliegenden Antrags, sich für die wirtschaftliche Entwicklung 
Tibets im vollen Einklang mit den Menschenrechten einzusetzen, findet unsere ausdrückliche Unterstützung. Wir teilen die Analyse des Antrags in weiten Teilen. Insbesondere halten wir es für begrüssenswert, dass neben den unbestrittenen gravierenden menschenrechtlichen Problemfeldern auch die positiven Schritte Chinas gewürdigt werden, so die Ratifizierung des Paktes über wirtschaft liche, soziale und kulturelle Rechte sowie die grossen Anstrengungen, die China unternimmt, um die wirtschaft liche Entwicklung in Tibet voranzutreiben. Dass wir dem Antrag dennoch nicht zustimmen können, sondern uns enthalten werden, liegt vor allem daran, dass wir das Verfahren in Bezug auf diesen Antrag für eine Farce halten.
Dass sich der Antrag nicht an die Bundesregierung, sondern an den chinesischen Volkskongress richtet, könnte man noch als eine zwar unübliche, aber doch interessante und originelle Vorgehensweise betrachten, um so einen neuen Impuls in den deutsch-chinesischen Diskurs über Menschenrechtsfragen und insbesondere die 
Situation in Tibet zu bringen. Stutzig werden muss man jedoch angesichts der Tatsache, dass der chinesische Präsident vor nicht einmal zwei Wochen in Deutschland zu Gast war. Dass der Antrag erst nach der Abreise des chinesischen Staatschefs eingebracht und der Besuch mit keinem Wort erwähnt wird, lässt nur den Schluss zu, dass das Parlament hier bereitwilligst eine Alibifunktion für das Verhalten der Bundesregierung während des Staatsbesuchs einnimmt: Schliesslich hätten all die erwähnten Punkte auch in den Gesprächen mit Jiang Zemin an gesprochen werden können. Dies war jedoch mitnichten der Fall. Im Gegenteil: Die Bundesregierung setzte alles daran, den chinesischen Gast von Menschenrechtsgruppen und Demonstrierenden abzuschirmen. Es gab weite Absperrungen, Sichtblenden wurden errichtet, Transparente wurden entfernt. Der Besuch stand ausschliesslich im Zeichen der auszubauenden deutsch-chinesischen Wirtschaftsbeziehungen, bei denen die Erwähnung von Menschenrechten nur hinderlich gewesen wäre. Dieses Vorgehen der Bundesregierung wird im Nachhinein durch den Antrag stillschweigend gebilligt, da er nicht einmal für die Zukunft ein verändertes Verhalten der Bundes regierung einfordert.
Um keine Missverständnis aufkommen zu lassen: Natürlich sind wir für den Ausbau guter wirtschaftlicher Beziehungen mit China. Wir sind auch der Auffassung, dass Einführungsvermögen und Sensibilität unverzichtbar für jeden Dialog sind, der positive Wirkungen zeitigen soll. Dies gilt selbstverständlich und in besonderem Masse auch für die Frage der Menschenrechte. Allerdings darf dies nicht dazu führen, dass Menschenrechtspolitik mit verteilten Rollen betrieben wird: Die Bundesregierung setzt auf ungetrübte Kontaktpflege und betreibt Wirtschaftspolitik und das Parlament frischt im Anschluss das leicht angekratzte Menschenrechtsrenommee wieder auf. Eine solche Arbeitsteilung, in der das Parlament zum Steigbügelhalter für die Regierungspolitik wird, beschädigt die Menschenrechte in ihrer Bedeutung und Wichtigkeit. Sie kann nicht unsere Zustimmung finden.
Dr. Ludger Volmer, Staatsminister im Auswärtigen Amt: Der Bundestag hat heute mit grosser Einmütigkeit seine Sorge über die Lage in Tibet zum Ausdruck gebracht. Auch wenn wir uns über jüngst erfolgte Freilassungen einzelner tibetischer Langzeithäftlinge freuen: Nach wie vor prägen massive Beschränkungen der Religionsfreiheit, die Verweigerung substanzieller Autonomierechte und ein hoher Assimilierungsdruck das Leben der Tibeter in China. Bundesminister Fischer hat deshalb in seiner Rede vor der Genfer Menschenrechtskommission am 20. März im Namen der Bundesregierung China aufgefordert, die Unterdrückung der tibetischen Minderheit zu beenden.
Es geht dabei nicht darum, die Zugehörigkeit Tibets zum chinesischen Staatsverband infrage zu stellen - diese wird weder von der Bundesregierung noch in diesem Hause bestritten. Wohl geht es aber darum, gegenüber der chinesischen Regierung deutlich zu machen, dass die Gewährung der Menschenrechte in Tibet und der Erhalt einer einzigartigen lamaistisch-buddhistischen Kultur eine Grundvoraussetzung für die Bewahrung von Stabilität nicht nur in China, sondern in der gesamten von Krisen ohnehin schon genug bedrohten Region ist.
Die Sorge vor einer Ausbreitung des Terrorismus ist auch in China berechtigt. Der gemeinsame Kampf gegen den internationalen Terrorismus darf aber nicht zum Vorwand für die Einschränkung internationaler Menschenrechtsstandards gemacht werden. Dies hat die Bundesregierung beim gerade zu Ende gegangenen Staatsbesuch Präsident Jiang Zemins gegenüber der chinesischen Seite unmissverständlich deutlich gemacht. Einen wirksamen Schutz gegen separatistischen Terrorismus bietet nicht die Repression, sondern nur die Gewährung wirklicher Autonomierechte, angefangen bei der Chancengleichheit in Entwicklung und Bildung bis hin zur Freiheit der Religionsausübung.
Die chinesische Regierung würde einen Fehler begehen, wenn sie glaubte, das Gespräch mit dem Dalai Lama nicht suchen zu müssen. Noch vermag der Dalai Lama alle Tibeter hinter seinem gewaltlosen Einsatz für die Rechte des tibetischen Volkes zu vereinen; wir wissen, dass sein Ansehen auch unter den innerhalb Chinas lebenden Tibetern ungebrochen ist. Dies könnte sich aber ändern, wenn eines Tages das religiöse Oberhaupt der Tibeter als Integrationsfigur wegfällt. Anzeichen für eine Radikalisierung kleinerer tibetischer Gruppen gibt es bereits.
Auch wenn das Misstrauen auf beiden Seiten nach wie vor gross ist: Die Bundesregierung fordert gemeinsam mit ihren Partnern in der EU die chinesische Regierung und den Dalai Lama dazu auf, in einen substanziellen Dialog mit dem Ziel einer Lösung des Tibet-Problems einzutreten. Wir massen uns dabei keine Vermittlerrolle an; wohl aber sind wir bereit, gute Dienste zu leisten, wo dies gewünscht ist - und sei es nur, wenn es zunächst darum geht, auf beiden Seiten ein Mindestmass an Vertrauen aufzubauen.

Quelle: Deutscher Budestag

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